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Die Krümmung der japanischen Klinge

Bild eines katana

Warum weisen (die meisten) japanischen Schwert-Klingen eine Krümmung auf?

Diese Frage tauchte bei meiner Beschäftigung mit dem Bokken, dem hölzernen Abbild eines japanischen Stahl-Schwertes, auf.

Die Krümmung war nicht von Anfang an da. Vor dem 10. Jhdt. waren die japanischen Schwerter - wie ihre chinesischen Vorbilder - gerade. Es gab dann eine Übergangsphase, in der die Klinge nur lokal gekrümmt war, der Rest der Klinge blieb gerade. Also z.B. eine Krümmung kurz nach der Angel, wobei der ganze Rest der Klinge gerade blieb. Schliesslich wurde die durchgehend gekrümmte Klinge "in".harris

Technischgesehen ist die Krümmung das Resultat des differentiellen Härtens der Klinge. Differentiell bedeutet, dass die Klinge nicht gleichmässig durchgehärtet wird, sondern bestimmte Teile stärker gehärtet werden als andere. Im Falle des Schwerts ist dies natürlich die Schneide. Die Schneide wird also sehr hart, dafür auch spröde, wohingegen der Klingenrücken elastisch bleibt. Dies geschieht, indem man die gesamte Klinge mit einem Lehmmantel bedeckt, ihn an der Schneide aber grösstenteils wieder abträgt. So erklärt sich auch das Schneidenmuster ("hamon"). Es zeigt deutlich den Übergang von hartem, spröden zu elastischem Stahl. Beim Härten in Wasser (mit ca. 40°C), nachdem die Klinge im Lehmmantel nochmal zum Glühen (bei ca. 850°C; bei ca. 1500°C schmilzt Stahl) gebracht wurde, kühlt nun die Schneide schneller ab als der Rest der Klinge, die ja unter einem dickeren Lehmmantel liegt. Daher wird die Schneide härter und man spricht von differntiellem Härten.

Die Krümmung ist aber nicht das Ergebnis etwaiger Wärmeausdehnung, sondern einer Volumenänderung. Diese kommt dadurch zustande, dass in der stark abgeschreckten Schneide Austenit in Martensit überführt wird. Der langsamer abkühlende Bereich des restlichen Klingenkörpers wandelt anders um und kontrahiert. Es treten hier erhebliche Zugeigenspannungen auf, die in der Lage sind, die volumenmäßig kleine Schneide zu biegen. Die Krümmung kann durchaus stark sein, wobei es sich nur um eine Verzerrung, nicht um eine Verformung handelt.herbert

Es gibt mehrere Möglichkeiten dieser starken Verzerrung entgegenzuwirken

  1. Man härtet, wie oben bereits angedeutet, die Klinge komplett durch. Da es sich bei einem japanischen Katana jedoch um ein einschneidiges Schwert handelt, wird sich die Klinge dennoch durchbiegen. Das liegt daran, dass der Klingenrücken sehr viel dicker als die Schneide ist und allein auf Grund dieser Tatsache länger zum Abkühlen braucht, das Stahlgefüge im Klingenrücken also mehr Zeit zum sich Verändern hat.
  2. Man macht ein zweischneidiges Schwert. Das kann man dann auch differentiell härten.
  3. Die beste und mit Abstand die schwierigste Methode bestünde darin, der Klinge vor dem Härten eine "Gegenkrümmung" zu verpassen. Man formt die Klinge also so, dass sie erst in die entgegengesetzte Richtung gekrümmt ist (also zur Schneide hin). Durch das Härten krümmt sie sich dann in die andere Richtung. Wenn man alles richtig gemacht hat, heben sich die beiden Krümmungen auf. Das Resultat wäre eine gerade Klinge. Und dieses Resultat zu erreichen wäre verdammt schwierig!

Warum macht man das dann nicht so?

  1. Würde man die Klinge durchhärten, verlöre das (japanische) Schwert seine hervorragenden Eigenschaften, für die es so berühmt ist. Das differentiell gehärtete Schwert verbindet Elastizität mit Schärfe. Im durchgehärteten Zustand wäre die Klinge ein grosser Kompromiss zwischen diesen beiden Eigenschaften.
  2. Nein, zweischneidig will man ein Katana nicht haben. (Siehe nachfolgend "andere Gründe".)
    Das Härten einer zweischneidigen Klinge ist jedoch ebenfalls eine Kunst, da die Klinge sich ja in beide Richtungen verzieht.
    Dem kann entgegenwirken, indem man die Klinge insgesamt nicht so stark härtet (50 Rockwell im Gegensatz zu 60-70).Klingenfrage
  3. Diese Methode klingt nicht nur theoretisch kompliziert, sie ist praktisch noch viel schwerer! Sowas könnten wohl nur grosse Meister der Schmiedekunst hinbekommen.

Gab es vielleicht noch andere Gründe, weshalb man nicht dennoch versucht hat, gerade Schwerter herzustellen?

Auffallend in diesem Zusammenhang ist, dass die Krümmung des japanischen Schwerts im Laufe der Zeit nicht etwa abnahm, sondern im Gegenteil praktisch stetig zunahm.

Es war nicht nur so, dass die Klinge ursprünglich gerade war und erst später krumm wurde, wie oben bereits beschrieben. Sondern, dass die Krümmung immer stärker wurde.harris

Neben der Einschneidigkeit der Klinge legt das den Schluss nahe, dass die Krümmung nicht nur durch den Härtevorgang bedingt war, sondern dass sie auch kampftechnische Funktionen hat(te):

Zumindest ab Ende des 8. Jhdts Rüstung (und bis Anfang des 17.Jhdts Bajutsu) war das Pferd ein wichtiges taktisches Moment in der japanischen Militärgeschichte. Wird ein Schwert jedoch vom Pferd aus verwendet, haben gekrümmte Klingen einen gewissen Vorteil gegenüber geraden Waffen, da sie als Hiebwaffe so effektiver einsetzbar sind. Als Beleg hierfür möchte ich anführen, dass alle Reitervölker, die ich kenne, solche gekrümmten Schwerter verwenden, seien es z.B. die Mongolen oder die Araber.

Allerdings muss ich einräumen, dass das Schwert wegen seiner doch relativ kurzen Reichweite zumindest bei den Japanern zu Pferd bei weitem nicht die wichtigste Waffe war. Vielmehr waren es erst der Bogen und später dann der Speer. bajutsu

Der Einsatz des Schwertes wurde jedoch mit dem Einfall der Mongolen 1274 forciert. Nuss

Exkurs

Warum sind japanische Rüstungen so viel leichter als europäische?

Japan hatte sich bewusst lange Zeit vom Kontinent isoliert, also auch dem kampftechnischen Austausch entzogen. Die Japaner mussten sich nicht gegen immer neuere Waffen zur Wehr setzen, wie das in Europa der Fall war. Es fand eine Art Konservierung bzw. starke Verlangsamung der Entwicklung im militärischen Bereich statt.

Auch die stark ritualisierte Kriegsführung fairplay machte eine Aufrüstung nicht nötig und kaum sinnvoll.

Mehr zum Thema Rüstung.

Auch sind die japanischen Rüstungen stark von den mittelalterlich-europäischen verschieden, so dass man mit Schnitten durchaus Schaden anrichten konnte, wohingegen bei den europäischen Rüstungen eher Stiche bzw. Hiebe mit einer schweren Waffe zum Erfolg führten.Rüstungen

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Anfangs bestand eine Schlacht zwischen zwei Heeren aus vielen Zweikämpfen von hochstehenden Samurais. Das Fussvolk diente hauptsächlich zur Versorung und Instandhaltung des Heeres.
Diese Form der Schlachtenführung änderte sich in Japan erst zu beginn des 17. Jhdts.fairplay


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  1. Victor Harris in: Schwerter Degen Dolche, Weltbild-Verlag 1994
  2. Dieser Absatz ist fast wörtlich übernommen aus diesem Beitrag von herbert auf messerforum.net.
  3. Klingenfrage - www.ezboard.com eine ähnliche Diskussion in einem Kampfkunst-Forum
  4. Ninja-Schwert :: Diskussion mit einigen interessanten Beiträgen zu geraden und gekrümmten japanischen Schwertern (14.05.'02)
  5. Katchû Seisakuben: An Online Japanese Armour Manual
  6. Eine harte Nuss Die Kriegsrüstung der Samurai - Teil 1 von 3
  7. Eine harte Nuss Teil 3: Invasion der Mongolen und Anfang des Schwertes als primäre Waffe
  8. Fairplay interessanter Artikel auf Tenshukaku
  9. Bajutsu Pferdetechnik/Reitkunst -- Dieser Artikel legt nahe, dass weniger Schwert als vielmer Bogen und später Speer auf dem Pferd Verwendung fanden.