Zen, Herrigel und Bogenschießen
Die Argumente von Prof. Yamada --
Eine Kurzfassung von Johannes Ibel
Das ganze Konzept des "Zenbogenschießens" ist weder traditionell noch japanisch. Es entstand, als Eugen Herrigel, ein deutscher Philosophieprofessor, der von 1926 bis '29 in Sendai Kyudo lernte, seinen Lehrer Awa Kenzo über- und fehlinterpretierte. Dieses Mißverständnis har mehrere Ursachen:
- Herrigel hatte großes Interesse für Zen-Buddhismus als einer Parallele zur christlichen Mystik (Meister Eckhart), und wollte Kyudo als einen Weg zu Zen sehen. Direkten Kontakt zur zenbuddhistischen Meditationspraxis hatte er allerdings nicht, auch wenn er viel über Zen las.
- Die Verständigung zwischen Herrigel und Awa Kenzo lief über einen Dolmetscher, da Herrigel kein Japanisch konnte. Der Dolmetscher entschied sich oft dafür, unverständliche Aussagen Awas auf eine scheinbar passende, aber stark "überarbeitete" Weise wiederzugeben. Eine zentrale Episode ("der Schuß im Dunkeln") geschah, als der Dolmetscher nicht einmal anwesend war. Herrigels ausführliche Wiedergabe von Awas Erklärung bei dieser Gelegenheit basiert nicht auf der tatsächlichen sprachlichen Kommunikation, und steht im Widerspruch zu dem, was Awa später selbst dazu sagte.
- Unverständliche Aussagen waren andererseits eine Folge davon, daß Awa Kenzo zu diesem Zeitpunkt nicht länger traditionelles Kyujutsu (in seinem Falle Heki-Ryu-Sekka-Ha) noch das moderne Kyudo seiner Zeit (also die von seinem Lehrer Honda Toshizane um die Jahrhundertwende entwickelte Honda-Ryu) repräsentierte, sondern zu einem sehr privaten religiös-zeremoniellen Verständnis übergegangen war. Er hatte sogar trotz scharfer Kritik aus den Reihen der Honda-Ryu eine eigene Organisation ("Daishadokyo") gegründet, um Kyudo (oder "Shado", wie er es nun nannte) als Religion zu verbreiten. Diese neue esoterische Ideologie wurzelte trotz einiger buddhistischer Wendungen nicht im Zen-Buddhismus. Awa Kenzo hat nach allem zu urteilen nie Zen praktiziert.
Herrigels "Zenbogenschießen" ist also nicht nur einen, sondern zwei Schritte weg von traditionellem Kyudo: Es ist eine Fehlinterpretation eines eigentümlichen, nicht-traditionellen Kyudoverständnisses.
Als Arbeitshypothese gehe ich davon aus, daß Herrigels Buch auch eine wesentliche Quelle für die allgemeine Behauptung ist, daß alle Kampfkünste eigentlich tief vom Zen beeinflußt seien. Die allgemeine Idee, daß der Zen-Buddhismus "die Religion der Samurai" gewesen sei, ist jedenfalls historisch falsch, egal wie passend sie im nachhinein wirken mag. Wie die Mehrheit der Bevölkerung sonst auch, waren die Bushi sehr viel mehr anderen buddhistischen Sekten zugeneigt, etwa dem esoterischen Shingon-Buddhismus oder der Lehre vom reinen Land.
Das bedeutet trotzdem nicht, daß Kyudo (oder irgend eine andere Kampfkunst) nicht als zen-inspirierte Übung verstanden werden kann, da sozusagen alles (inklusive Stillesitzen, Kloputzen oder Geschirr spülen) als eine solche Übung dienen kann. Eine traditionelle Auffassung oder "bessere" Kampfkunst ist das allerdings nicht. Es gibt zwar in der Tat auch im kriegerischen Kyujutsu einzelne Interpretationen mentaler Zustände, die auf Formulierungen des Buddhismus zurückgreifen. Mit Awas Lehren oder Herrigels Vorstellungen von Zen hat dies aber nichts zu tun.
Solche Analysen waren seit etlichen Jahren Teil der Herrigelrezeption im interessierten Kyudomilieu, zum Beispiel war dies eines der Themen auf dem 1. Internationalen Kyudosymposion in Hamburg 1994. Kürzlich hat Prof. Yamada, selbst aktiver Kyudoka, einen Artikel geschrieben, der in überarbeiteter englischer Übersetzung im Japanese Journal of Religious Studies, Spring 2001, 28/1-2, herausgegeben wurde. Er stellt hier den aktuellen Stand der Diskussion mit ausführlicher Dokumentation dar.
Mit freundlicher Genehmingung von Johannes Ibel.Weiterführende Links
- The Myth of Zen in the Art of Archery - Die vollständige Arbeit von Prof. Yamada
- Zen and the way of the sword - ein Buch in meinen Buchempfehlungen